Huampani 1997

Abschlusserklärung des I. Mini-Weltgipfels arbeitender Kinder und Jugendlicher in Huampani, Peru, 10. bis 15. August 1997

"FÜR ARBEIT IN WÜRDE UND EINE GESETZGEBUNG, DIE UNS SCHÜTZT UND UNS ANERKENNT"

Nach Beendigung des V. lateinamerikanischen Treffen der NATs sowie des I. MINI-Weltgipfels arbeitender Kinder und Jugendlicher richten wir folgende Erklärung an die internationale Öffentlichkeit:

Wir kämpfen gegen eine Kultur des Todes, die uns unsere Rechte und unsere Integration in die Gesellschaft verwehrt. Wir betrachten uns als Produzenten des Lebens.

Dies nicht zu erkennen bedeutet, uns noch weiter als bisher auszugrenzen. Uns gleichzeitig von Bürgerrechten zu sprechen, ist ein Hohn.

Laut Statistiken internationaler Institutionen (wie UNICEF, ILO, etc.) gibt es auf der Welt 250 Millionen arbeitende Kinder. Diese Daten berücksichtigen allerdings weder die vielen Kinder, die in fremden Haushalten arbeiten, noch die StraßenverkäuferInnen, noch die Kinder, die zuhause, in Minen, Fabriken, Lagern, Bibliotheken, etc. arbeiten, die wir aber als ArbeiterInnen bezeichnen und anerkennen.

Wenn die, die in diesen Institutionen arbeiten, ihre Büros einmal verliessen, um sich dorthin zu begeben, wo wir arbeiten, würden sie sich der Realität bewußt werden, die wir kennen und durchleben und bekämen eine andere Sichtweise, als die , daß Kinderarbeit abgeschafft werden müsse.

Die Vertreter der Bewegungen und Organisationen arbeitender Kinder aus Afrika, Lateinamerika und Asien haben sich zu ihrem I. Mini-Weltgipfel versammelt, um die Problematik der arbeitenden Kinder überall auf der Welt zu betrachten und zu diskutieren.

Wir haben entschieden, an internationalen Konferenzen teilzunehmen, um unser Recht auf freie Meinungsäußerung in die Tat umzusetzen. Außerdem fordern wir Rede- und Stimmrecht, denn dort werden Themen diskutiert und Entscheidungen getroffen, die uns betreffen. Aus diesem Grund müssen wir uns dort maßgeblich beteiligen.

Bis jetzt hat man uns zwar zugehört, aber man hat unsere Meinung nicht berücksichtigt. Man hat uns das Recht gegeben, uns zu organisieren, aber unsere Organisationen wurden bisher rechtlich nicht anerkannt.

Die Arbeit würdigt den Menschen, daher verlangen wir das Recht unter würdigen Bedingungen zu arbeiten, und darauf, als Personen anerkannt zu werden, die ihren Beitrag für die Gesellschaft, sowohl auf wirtschaflicher als auch auf sozialer und kultureller Ebene, leisten.

Wir sind der Ansicht, das, was es abzuschaffen gilt, sind die Ursachen für Armut und die Armut selbst, ebenso wie Auslandsschulden, Sanktionen, die die reichen den armen Ländern auferlegen, Arbeitslosigkeit, Korruption... .

Wir, als organisierte ArbeiterInnen, werden für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen zugleich kämpfen; wir werden für unsere Rechte kämpfen: für angemessene und kostenlose Bildung, für Gesundheitsdienste, für Möglichkeiten, uns zu versammeln und gemeinsame Aktionen durchzuführen. Dies soll uns letztlich ermöglichen, Protagonisten unseres Lebens und soziale Subjekte unserer Gesellschaft zu sein.

Wir fordern, die Bewegungen der NATs und die arbeitenden Kinder selbst als ArbeiterInnen juristisch anzuerkennen, auf lokaler, regionaler, nationaler, kontinentaler und internationaler Ebene. D. h. wir müssen Arbeitsverträge abschließen können, Bankkonten eröffnen und Kooperativen gründen können sowie sozial abgesichert sein.

Wir fordern, daß sich Komitees bilden, die die Einhaltung unserer Rechte überall auf der Welt überwachen, und in denen organisierte arbeitende Kinder mit vollem Stimmrecht vertreten sind. Wir fordern daher unsere gleichberechtigte Teilnahme an der Versammlung der ILO 1998 sowie an allen internationalen Konferenzen, auf denen über Gesetze und sozialpolitische Maßnahmen verhandelt wird, die die arbeitenden Kinder betreffen, gemäß den Bedingungen unseres Zehn-Punkte-Katalogs von Kundapur (Indien).

Anwesend waren VertreterInnen folgender Bewegungen:

Lateinamerikanische Bewegung arbeitender Kinder u. Jugendlicher (NATs)
Westafrikanische Bewegung arbeitender Kinder u. Jugendlicher (EJTs)
Bhima Sangha (Indien)


Gemeinsame Erklärung der Kinder und ihrer pädagogischen BegleiterInnen im Anschluss an das V. lateinamerikanische Treffen und den I. Mini-Weltgipfel der arbeitenden Kinder, Huampani, Peru, 15. August 1997

Die auf dem V. Treffen der arbeitenden Kinder Lateinamerikas und der Karibik, dem IV. Workshop zu "Sozialpolitik und internationaler Gesetzgebung zu Kinderarbeit" und dem I. Mini-Weltgipfel arbeitender Kinder vom 6. - 15. August 1997 in Huampaní, Kreis Chaclacayo, Lima, Peru zur Unterstützung der arbeitenden Kinder (NATs) versammelten Delegierten und pädagogischen MitarbeiterInnen

stellen hiermit fest,

daß Kinderarbeit eine Realität ist, in die Millionen von Kindern und Heranwachsenden auf der ganzen Welt einbezogen sind und die somit auf das Leben jedes Kindes, jeder Familie in sozialer, politischer und in wirtschaftlicher Hinsicht einwirkt,

daß heute über dieses Thema heftige Debatten auf institutioneller, politischer, fachlicher und gesellschaftlicher Ebene stattfinden,

daß bereits wichtige Erfahrungswerte von sozialen Einrichtungen für arbeitende Kinder und Jugendliche, von Nichtregierungsorganisationen, Regierungsorganisationen und von zwischenstaatlichen Organisationen vorliegen, die auf diesem Gebiet tätig sind,

daß bereits diverse nationale, regionale, kontinentale und internationale Treffen mit arbeitenden Kindern, PädagogInnen und Fachleuten stattgefunden haben, von denen folgende mit besonders prägnanten Ergebnissen zu nennen sind:
1. Lateinamerikanisches und karibisches Treffen der Bewegung arbeitender Kinder, Lima 1988
2. II. Lateinamerikanisches und karibisches Treffen der Bewegung arbeitender Kinder, Buenos Aires 1990
3. III. Lateinamerikanisches und karibisches Treffen der Bewegung arbeitender Kinder, Guatemala 1992
4. Bouaké-Treffen, Elfenbeinküste 1994
5. IV. Lateinamerikanisches und karibisches Treffen der Bewegung arbeitender Kinder, Santa Cruz, Bolivien 1995
6. Lomé-Treffen, Togo 1995
7. Bamako-Treffen, Mali 1995
8. V. Lateinamerikanisches und karibisches Treffen der Bewegung arbeitender Kinder, Lima 1997
9. I. Internationales Treffen der Bewegungen arbeitender Kinder, Kundapur, Indien 1996
10. Ouagadougou-Treffen, Burkina Faso 1996
11. I. Weltgipfel der Bewegungen arbeitender Kinder in Huampaní, Lima vom 11.-15. August 1997

daß wir dieser Realität Rechnung tragen, indem wir Respekt, Anerkennung und Würde gegenüber allen Kindern und Jugendlichen geltend machen und sie als soziale Subjekte mit vollen Rechten betrachten, die es verdienen gemeinsam mit ihren Familien und Gemeinden in einer Welt zu leben, in der alle Männer und Frauen die Möglichkeit haben, in Gerechtigkeit und Frieden und einer Solidarität, die durch Liebe und Zufriedenheit wächst, geboren zu werden, aufzuwachsen und sich zu entwickeln,

daß die Staaten keine Sozialpolitik betreiben, die den jeweiligen spezifischen Gegebenheiten angemessen ist und Aussichten auf bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen schaffen kann,

daß die Existenz eines schwammigen, vielfältig interpretierbaren rechtlichen Rahmens, der die erklärten Meinungen der organisierten arbeitenden Kinder und Jugendlichen oben erwähnter Treffen nicht berücksichtigt, eine Verbots-Politik fördert, die die Identität der arbeitenden Kinder leugent und gegen das Menschenrecht auf eine Arbeit in Würde gerichtet ist, wie es in den Erklärungen zu den Menschenrechten und Kinderrechten verankert ist.

Daher erklären wir:

1. wir beanspruchen das Recht zu arbeiten für jede Person ungeachtet ihres Alters unter Beachtung aller Menschenrechte, mit spezieller Berücksichtigung der Bedingungen als Kinder und Jugendliche und unter Einhaltung aller individuellen und kollektiven Arbeitsrechte in sämtlichen Arbeitsbereichen.

2. wir fordern die Anerkennung der arbeitenden Kinder und Jugendlichen als Protagonisten und soziale, wirtschaftliche und rechtliche Subjekte der Gesellschaft mit dem Recht auf Mitwirkung bei der Ausarbeitung von politischen Zielsetzungen und Rechtsnormen, die für sie von Bedeutung sind.

3. wir verurteilen die wirtschaftliche Ausbeutung und den Mißbrauch, dem sich die arbeitenden Kinder und Jugendlichen ausgesetzt sehen und verlangen das Recht auf Arbeit in Würde und eine Gesetzgebung, die sie schützt.

4. wir fordern eine Bildungspolitik, die Bildung und Arbeit gleichermassen fördert und sich dieser besonderen sozialen Aufgabe bewußt ist.

5. wir fordern die internationalen und multilateralen Organisationen auf, gesetzliche Mittel auszuarbeiten, die die komplexe und spezifische Natur der Kinderarbeit berücksichtigt, indem ausbeuterische Kinderarbeit scharf von anderen Formen von Arbeit, die positiv zur Gesamtentwicklung der Kinder beitragen, unterschieden wird.

6. wir fordern die staatlichen, internationalen und multilateralen Institutionen dazu auf, eine realitätsnahe Politik zu betreiben und mit Hilfe von international greifenden Rechtsmitteln sämtliche Formen von unstatthaften und verbrecherischen Aktivitäten, die die Menschenrechte verletzen, und nicht mit unserer Konzeption von Kinderarbeit zu verwechseln sind, wie Sklaverei, Knechtschaft, sexuelle Ausbeutung, Pornografie, Verleiten zu Drogen und Drogenhandel, zu unterbinden.

7. wir fordern die Anerkennung und Respektierung des Meinungs- und Versammlungsrechts, das in der Internationalen Konvention der Kinderrechte verankert ist und somit die fällige rechtliche Anerkennung der Organisationen der arbeitenden Kinder und Jugendlichen.

8. wir schlagen die Verabschiedung eines fakultativen Protokolls zur Kinderrechtskonvention vor, das folgende Eckpunkte vorsieht:

(a) die Anerkennung des Rechts zu arbeiten als ein der Würde des Kindes entsprechendes Menschenrecht.

(b) die Anerkennung der Mündigkeit und die Überwindung der gebräuchlichen Ansicht, die Kinder und Jugendlichen seien unmündig.

(c) die Anerkennung ihrer Organisationen und Vergabe eines rechtlich anerkannten Status gemäß des Versammlungsrechts der Kinderrechtskonvention.

(d) die Erweiterung der Kompetenzen des Internationalen Komitees, das die Verwirklichung der Kinderrechts-Konvention überwacht, bezogen auf Berichte von Bewegungen und Organisationen arbeitender Kinder und Jugendlicher über Kinderrechtsverletzungen, um diesbezüglich durchführbare Resolutionen an die betreffenden Rechtsorgane der jeweiligen Länder erstellen zu können.

9. wir fordern die Gewerkschaften auf, die Aufnahme der Organisationen arbeitender Kinder und Jugendlicher zu ermöglichen.

10. wir verlangen von der Internationalen Arbeits-Organisation (ILO) als dem Organ der Vereinten Nationen mit einem Dreiparteiensystem (Regierung, Arbeitgeber, Arbeitnehmer), die Organisationen arbeitender Kinder und Jugendlicher an allen Debatten und Entscheidungen, die diese betreffen, teilhaben zu lassen.

11. wir stellen auf Grund unserer Erfahrungen in der praktischen pädagogischen Arbeit mit arbeitenden Kindern und Jugendlichen sowie deren alltäglicher Erfahrung folgende sozialpolitische Richtlinien in vier verschiedenen Handlungsebenen vor: Organisation, Bildung und Freizeit, Gesundheit und Arbeit.

Wir PädagogInnen und die Institutionen, die wir hier vertreten, machen uns die Aussagen der arbeitenden Kinder und Jugendlichen zu eigen:

JA zu Arbeit in WÜRDE,
NEIN zur Ausbeutung!

JA zur Arbeit unter SCHUTZ,
NEIN zu schlechter Behandlung und Mißbrauch!

JA zu ANERKENNUNG DER ARBEIT,
NEIN zu Ausschluß und Ausgrenzung!

JA zu Arbeit unter MENSCHLICHEN BEDINGUNGEN,
NEIN zu unwürdigen Bedingungen!

JA zum RECHT, IN FREIHEIT ZU ARBEITEN,
NEIN zur Zwangsarbeit!

Aktualisiert: 14.12.2020